Inspiriert durch das Buch „Reinventing Organizations“ von Frédéric Laloux bot ich auf dem Corporate Learning Camp 2015 eine Session an zum Thema „Kill Talentmanagement!? – Talentmanagement in Zeiten von Selbstorganisation und Komplexität“
Darum ging es:
- Für die Session eine Arbeitsdefinition von „Talentmanagement“ zu finden
- Impulse aus dem Buch von Frédéric Laloux zu präsentieren als Aussagen dazu, unter welchen organisationalen Voraussetzungen es Talentmanagement als Instrument nicht mehr braucht
- Auf Grundlage dieser Impulse Eindrücke aus den eigenen Organisationen zusammenzutragen und zu diskutieren zu folgenden Fragen:
- Welche Voraussetzungen gibt es aus Sicht der Teilgebenden, damit man Talentmanagement als Instrument nicht mehr benötigt?
- Wo stehen die Organisationen der Teilgebenden entlang dieser Voraussetzungen?
Arbeitsdefinition für „Talentmanagement“
Talentmanagement = Gesamtheit personalpolitischer Maßnahmen zur Sicherstellung der Besetzung kritischer Rollen und Funktionen (Quelle: Wikipedia)
Meine Hypothesen zum klassischen Umgang mit dem Instrument „Talentmanagement“ in Organisationen
- Kopieren und Einführen von Best Practices zu Talentmanagement, Potential-/ Nachfolgeplanung, Karriereplanung
- Passung zur eigenen Organisation und mögliche nachteilige Effekte werden kaum geprüft
Aussagen von Frédéric Laloux
(Quelle: Laloux, Frédéric (2014) „Reinventing Organizations. A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness“. Nelson Parker)
Allgemein
- Ab einer bestimmten Evolutionsstufe von Organisationen („Teal Organizations“) entlang des Umgangs mit Komplexität braucht es Instrumente wie Talentmanagement, Potential-/Nachfolgeplanung und Karriereplanung nicht mehr
- „Teal Organizations“ beschreibt als Netzwerk aufgebaute, von Selbststeuerung gekennzeichnete Organisationen wie Patagonia, die Heiligenfeld-Kliniken, den Automobilzulieferer FAVI oder auch die dm-Drogeriemärkte
Gründe dafür, dass es bei „Teal Organizations“ kein Talentmanagement mehr braucht
- Führung ist nicht auf wenige Personen beschränkt, sondern weit verbreitet/verteilt. Es gibt keine Führungsrollen, auf die man Mitarbeiter vorbereiten müsste.
- Mitarbeiter begegnen so vielen Gelegenheiten zu lernen und zu wachsen, dass es von Seiten der Unternehmensführung keine Fremdsteuerung braucht im Sinne einer aktiven Zuweisung passender Herausforderungen/Gelegenheiten
- Durch einen hohen Freiheitsgrad bei der Arbeit ergibt sich ein großer Lernwille
- Vertrauen darin, dass die Mitarbeiter ihre eigene Entwicklung steuern und formen
- Karrieren entstehen organisch aus den Interessen, Berufungen und Gelegenheiten, die sich ohnehin ständig ergeben
- Es gibt nicht eine Position, die jemand inne hat, sondern eine Vielzahl an Rollen, die man einnimmt. Diese Rollen lassen sich je nach Interesse, Berufung und Talent tauschen
Meine Präsentation dazu findet sich hier: Kill Talentmanagement Präsentation Sven Lakner CLC15 09102015
Diskussion
Voraussetzungen für „Kill Talentmanagement“
Auf die Frage, was die Voraussetzungen auf Seiten der Teilgebenden sind, um auf Talentmanagement verzichten zu können, wurde schnell eine Verknüpfung zwischen den Voraussetzung für „Kill Talentmanagement“ und den Voraussetzungen für das Leben von Selbstorganisation gesehen.
Folgende Punkte wurden gesammelt:
- Strategie
- Abschied von der Idee der Planbarkeit
- Struktur
- Positionsmodell muss weg [Alternative wäre z.B. ein Rollenmodell]
- Bewertung von Mitarbeitenden nach Umfang und Qualität der Aufgaben [nicht nach Position]
- Keine Stellenbeschreibungen sondern Teambeschreibungen
- Ähnlichkeit der Aufgaben in der Organisation, alles innerhalb einer Hierarchieebene
- Möglichkeit muss in der Organisation vorhanden sein zu unterscheiden zwischen der Notwendigkeit einer agilen und/oder einer linearen Organisationsform
- Kultur
- Neudefinition bestehender (gesellschaftlicher) Werte
- Familiäre Kultur
- Ein Zielbild, eine Vision, ein Wertbild im Team
- Rahmung dieser Veränderung/dieses Verzichts
- Sinn und Zweck muss klar sein
- Starke Kommunikations-/Wertekultur
- Bereitschaft, Selbstorganisation und Verantwortung zu lernen und leben im Team
- Mehrdimensional (Struktur/Kultur)
- Anderes Modell von Führung (ungleich Positionsmacht, ungleich formale Hierarchie)
- Change-Prozess
- Das damit verbundene Menschenbild muss vom Kopf [Spitze der Hierarchie] her gelebt werden
- Es braucht die Zeit für diesen Change-Prozess (unterschiedliche Meinungen: braucht es Jahrzehnte oder vielleicht doch nur 2-3 Jahre?)
Status Quo entlang dieser Voraussetzungen
Auf die Frage, wo die Organisationen der Teilgebenden entlang dieser Voraussetzungen stehen, entstanden folgende Eindrücke und Äußerungen:
- Sehr plakativ und bezeichnend war die Äußerung eines Teilgebenden, dass seine Organisation entlang dieser Voraussetzungen bei „-1“ stünde. Dies provozierte natürlich in vergebliche Rückfragen von Seiten der anderen, um welche Organisation es sich handle.
- Von einem Teilgebenden kam noch der Hinweis auf „Liquid Talent Management“ als Ansatz, der bei IBM zum Beispiel so aussieht, dass nicht mehr intern IT-Talente vorgehalten werden, sondern dass sich freischaffende, aber von IBM ausgebildete, IT-Fachleute in einer Talent Cloud auf Projekte bewerben können. Mehr dazu z.B. hier: http://www.wiwo.de/erfolg/management/dammanns-jobtalk-heute-noch-talent-und-morgen/6224164.html
- „Wir lieben Talentmanagement“ war Konsens, es wird von den Teilgebenden noch kein Bedarf gesehen, dieses in Frage zu stellen. Die genannten Instrumente sind in den Organisationen der Teilgebenden weit verbreitet und werden gemocht. Die bestehenden Organisationsformen sind noch weit entfernt von der „Teal Organization“, wie sie Laloux beschreibt.
Der Mitschrieb der Diskussionsinhalte findet sich hier: https://twitter.com/cinkolino/status/652467409484427264/photo/1
Mir hat diese Session viel Spaß gemacht und ich habe mich sehr über das Feedback dazu von Seiten der Teilgebenden unter #clc15 auf Twitter gefreut.
Der Ansatz in Rollen und nicht (nur) in Positionen zu denken ist nicht unbedingt neu. Unsere Partner setzen parallele Rollenkonzepte auch im Bereich Talentmanagement (Qualifizierung) ein und bilden diese mit TCmanager Software für Bildungsmanagement ab. Das strukturierte Komplement im Bereich Seminarverwaltung zu finden. Dieses dient sinnvollerweise auch übergeordnete Verpflichtungen (Produkthaftung, Compliance…).
Das Denken in Positionen ist aber nicht nur eine Frage der Unternehmenskultur und Kommunikation, sowie der erlernten und gelebten Lebensumwelt. Eng damit verknüpft sind auch Incentivierungsprogramme, Karriereplanung und Perspektive für Arbeitnehmer (Retention).
Sicher ist auch hier die Lösung nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern ein individuell austarierter, zweckgebundener Mittelweg, der in Unternehmen iterativ, im besten Fall selbstorganisiert entwickelt wird.